Das Abenteuer Stärken

„Nicht genutzte Stärken, sind wie Sonnenuhren im Schatten.“

Dieses Zitat von Benjamin Franklin las ich zum ersten Mal vor ungefähr 10 Jahren. Zeitgleich lag druckfrisch die erste Gallup-Studie „Engagement-Index“ auf meinem Schreibtisch, nach der lediglich 16% der deutschen Arbeitnehmer ab 18 Jahren eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen. Oder anders gesehen: Runde 84% haben mehr oder weniger die innere Kündigung vollzogen oder sich zumindest in den „freizeitorientierten Schongang“ geflüchtet.

Damals dachte ich: „Diese Studie muss doch einen Aufschrei in deutschen Unternehmen bewirken und einen Change-Prozess in Gang setzen, der seines gleichen sucht.

Doch heute – nach 10 Jahren ist es ruhig geworden – und von den gruseligen Gallup-Zahlen liest man mehr oder weniger nur in Insiderkreisen. Wer jetzt glaubt, dass sich mittlerweile alles zum Guten gewendet hat, der irrt und möge einen Blick auf die 2011er Studie werfen. (Link zum aktuellen Gallup-Report 2011)

Nun fragt sich der geneigte Leser vielleicht zu Recht, warum diese Studie mich als NLP-Lehr- und Führungskräftetrainer derart echauffiert?

Die Antwort ist recht einfach: Wenn man im NLP die – psycho-logische Ebene der reinen Skills hinter sich gelassen hat, stösst man zwangsläufig auf Fragen, die tiefer schürfen:

  • Unter welchen Bedingungen sind Menschen willens, Außergewöhnliches zu (er-)schaffen?
  • Was muss sein, damit Menschen in Ihrem Tun Sinn und Erfüllung erfahren?
  • Oder kurzum: Was macht Menschen glücklich?

Wenn man dann als Trainer und Coach beginnt, zu forschen und sich mit Konzepten wie den Werte-Modellen von Clare Graves, der Positiven Psychologie von Martin Seligman, dem „Flow-Phänomen“ von M. Csíkszentmihályi oder der Logo-Therapie von Viktor Frankl beschäftigt, dann verdichten sich die Gedanken irgendwann einmal zu einigen Thesen, die ich gerne mit Ihnen teile – auch wenn diese (ungeordneten) Ideen (noch lange nicht) zu Ende gedacht sind….

  • These 1: Jeder Mensch auf dieser Welt hat eine Aufgabe, die er besser als jeder andere erfüllen kann.
  • These 2: Wenn ein Mensch diese – seine – Aufgabe gefunden hat und wahrnimmt, macht ihn dies glücklich und erfüllt ihn mit Sinn.
  • These 3: Glück entsteht durch zwei Aspekte: 1. Durch möglichst viele glückvolle Momente im Hier und Jetzt und 2. dadurch dass der Mensch sich einer Aufgabe verschreibt, die (ein klein wenig) grösser ist als er selbst.
  • These 4: Glück entsteht, wenn ein Mensch seine – ihm einzigartigen Stärken – in einer Aufgabe leben kann.
  • These 5: Jeder Mensch besitzt ein einzigartiges Bündel an Stärken. Diese gilt es zu erkennen und in Bezug zu einer Aufgabe zu setzen, die diese Stärken erfordert.
  • These 6: Es gibt keine Stärken per se – nur bestimmte Fähig- und Fertigkeiten, die es uns erlauben, in einem bestimmten Kontext Außergewöhnliches zu leisten.
  • These 7: Eine wesentliche Aufgabe von Führungskräften besteht darin, sicherzustellen, dass das Anforderungsprofil einer Aufgabe optimal zu dem Stärkenprofils eines Menschen passt. (Aufgabe/Mensch-Passung)
  • These 8: Die Verantwortung einer Führungskraft besteht darin, darauf zu achten, dass ein Mensch in einem Unternehmen seine wichtigsten Werte in Bezug auf den Kontext „Arbeit“ leben kann. („Cultural-Matching“)
  • These 9: Menschen mit einer Aufgabe zu betrauen, die nicht im Bereich ihrer Stärken liegt, schafft (Un-)Sinn, Leid und ist ist unsozial.
  • These 10:  „Alles ist nicht möglich!“: Es ist eine Allmachtsphantasie, zu glauben, jeder Mensch könne jede Fähigkeit bis zum Grad der Exzellenz erlernen.
  • These 11: Stärken entwickeln sich aus Talente, doch nur dann, wenn man diese Talente durch Üben-Üben-Üben ausbildet. (s. „Die 10.000 Std. Regel nach M. Gladwell)“
  • These 12: Talent und Begabung werden überbewertet. Vortreffliche Leistungen sind in der Regel das Ergebnis von Training, Leidenschaft und Ausdauer.
  • These 13: Wir leben nach wie vor in einer „Reparatur/Defizit-Gesellschaft“, in der der Fokus darauf liegt, was nicht funktioniert. Die Folge: Menschen werden auf Grund ihrer Stärken eingestellt und ab dann liegt der Fokus auf ihren Schwächen.
  • These 14: Die Ausprägung einer Persönlichkeit ist weitaus stabiler als man denkt. Deshalb lasst uns darauf verzichten, an menschlichen Schwächen herumzudoktern und zu versuchen, in Menschen etwas „hinein zu tun“ was nicht da ist. Lasst uns lieber das einzigartige in Menschen erkennen, was da ist. Damit hätten wir schon genug zu tun.
  • These 15: Ja, Menschen haben (auch) Schwächen. Diese gilt es zu erkennen. Sollte es sich um eine Schwäche im Bereich von einer Basiskompetenz handelt, gilt es daran zu arbeiten. Ist diese Eigenschaft weder eine Basiskompetenz noch hinderlich in der Erfüllung des aktuellen Aufgabenbereiches, wäre es sinnvoller, diese Aufgabe jemanden anderen anzuvertrauen.
  • These 16: Werte sind alles das, was Menschen wichtig ist. Je mehr ein Mensch in der Lage ist, seine höchsten Werte aktiv zu leben, desto glückvoller erlebt er sein Leben.

Autor: Hans-Jürgen Walter