Von der (möglichen) Illusion eines leichten Lebens

Niemand hat Lust auf Leid. „Gut drauf sein – und das möglichst 24/7.“ heißt die Devise.

Alles ist möglich und geht nicht gibt´s einfach nicht. Du kannst alles, was Du willst und wenn Du es nicht kannst, dann willst Du es halt auch nicht richtig, gell?

Der Kernglaubenssatz hinter all diesen vollmundigen Verspreche(r)n ist:

„Das Leben ist an sich leicht und einfach und wenn es dies bei Dir nicht ist, dann machst Du eben etwas falsch!“

But.. no problem… Dafür gibt es ja uns – die neuen Schamanen und Regenmacher dieser „high- Speed“-Gesellschaft, die dir mal eben beweisen: Wenn du es schaffst, über glühende Kohlen zu laufen, dann schaffst du alles andere auch: Quod erat demonstratum – das Leben ist leicht.

Aber nur mal gesetzt den Fall… die Adepten der neuen Heilslehren würden sich (und uns) täuschen und Buddha hätte mit der ersten seiner „Vier edlen Wahrheiten“ recht:

„Leben ist Leiden.“

Was wäre dann?

Nehmen wir doch einmal nur für einen Moment an, das Leben sei in Wirklichkeit eben nicht leicht, sondern bestünde aus einer endlosen Reihe von Problemen und Schwierigkeiten.

Was wäre dann?

Vielleicht…würden dann all die Menschen, die heute mehr oder weniger unablässig, lauthals oder unterschwellig über das riesige Ausmaß ihrer Probleme klagen, als sei das Leben im allgemeinen leicht – als solle es leicht sein – damit aufhören?

Vielleicht… würden sie deshalb damit aufhören, weil sie begännen zu verstehen, daß ihre persönlichen Probleme keine einzigartige Heimsuchung ist, die nicht sein dürfe(.. da das Leben ja an sich leicht ist).

Vielleicht… würden sie beginnen, zu verstehen, dass das Leben an sich eine Reihe von Problemen und Schwierigkeiten in sich birgt, die es zu meistern gilt.

Vielleicht… würden wir uns dann wieder in Werte üben wie (Selbst-)Disziplin, (Selbst- )Verantwortung und Ausdauer, deren Umsetzung zwar mit viel Mühe verbunden ist, die uns jedoch unabhängiger von immer neuen Heilslehren machen würde. (Dauer statts Power?!)

Vielleicht …würden wir mit der Kraft dieser Werte in uns weiterkommen, als mit der dauernden Suche nach neuen Goldenen Kälbern in Form von immer neuen Veränderungstechnologien.

Zugegeben: Dieser Weg scheint nicht besonders populär. Und nur deshalb da dieser Ansatz sehr, sehr alt ist, ist er nicht automatisch „wahrer.“ Aber: Dieser Ansatz birgt den Vorteil des Einfachen in sich (da wir ja im Grunde wissen, was wir tun müssten), was ihn jedoch nicht leichter macht, .. da wir dann die Lösung unserer Probleme in uns selbst suchen müssten und nicht im Heil neuer Tools.

„Das Überwinden von Hindernissen ist der Vollgenuss des Daseins“

… schrieb Schopenauer einmal. Aber mal ehrlich: Who the hell is Schopenauer? Dieser depressive Pessimist wäre doch heute im Reigen der modernen Wunderheiler völlig deplaziert und hätte in den Chart-Listen der „Selbsthilfeliteratur“ kaum mehr Überlebenschancen als eine Schneeflocke in der Hölle, oder?

Mit einem kritischen Blick aufs eigene Metier.

Ihr Hans-Jürgen Walter