To be or not to be – Mit E-Prime mehr Klarheit in das eigene Denken bringen

"to be" or not "to be"Vor einiger Zeit stieß ich bei Recherchearbeiten auf einen recht interessanten Denkansatz, der mehr Klarheit und Präzision in das eigene Denken, Sprechen und Schreiben bringen kann – E-Prime.

  • Was ist E-Prime?
    E-Prime – ein linguistischer Denkansatz, um Denken und Sprache präziser und verständlicher zu machen.
  • Wie funktioniert E-Prime?
    E-Prime erreicht mehr Sprachpräzision durch die Vermeidung aller Formen des Verbes „sein“ (engl. to be) und die Vermeidung von Passivsätzen.

1950 beschrieb der junge Sprachwissenschaftler David Bourland, ein Schüler von Alfred Korzybski (1) , eine Methode namens „E-Prime“, mit der er vorschlug, im englischen Wortschatz sämtliche Formen des Verbs „to be“ schlichtweg zu vermeiden. Zudem schliesst „E-Prime“ auch die Verwendung von Passivsätzen aus, wodurch der Sprecher klar dazu angehalten ist, klar zu benennen, wer was sagt, tut oder entscheidet. Einige Wissenschaftler bezeichneten „E-Prime“ als Variante der englischen Sprache, andere sahen es als einen Art Geistesdisziplin an, um selbst klarer zu denken, zu sprechen und zu schreiben.

Doch was ist denn „das Schlechte“ an dem Verb „Sein“?

1. „Sein“ suggeriert Beständigkeit.
Über den Therapeuten Frank Farelly kursiert eine Anekdote, in der ein Klient zu ihm kommt und sich outet:
„Herr Doktor, ich bin Alkokoliker“
Frank: „Sagen Sie, frühstücken Sie hin und wieder auch einmal?“
Klient: „Natürlich!“
Frank: „Ah, dann sind Sie wohl auch Frühstücker!“.
Das Verb „sein“ verführt dazu, zu glauben, es gäbe so etwas wie Beständigkeit auf der Welt. Wenn ich sage: „Ich bin Alkoholiker!“ dann gebrauche ich „sein“ auf der Identitätsebene und suggeriere mir, dass ich 24 Stunden 7 Tage in der Woche genau dies bin – und zwar für immer.  Veränderung nicht vorgesehen. Das Verb „sein“ erzeugt eine mentale Repräsentation von Dauer und damit zementieren wir mittels Sprache unsere Welt.

Doch auch wenn unsere Sinne uns hin und wieder etwas anderes vortäuschen – alles auf dieser Welt ist im Fluss, im Prozess.
Ganz gleich ob wir Heraklit bemühen, der sagte: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ oder den Tanz der Elektronen auf subatomarer Ebene: Nichts „ist“ statisch, dauerhaft oder unveränderlich und da nichts ewig bleibt, sondern sich fortwährend ändert, „ist“ nichts. Das was uns bleibt, scheint maximal die Illusion der Beständigkeit, die wir beständig aufrecht erhalten, wenn wir das Verb „sein“ auf der Ebene der Identität verwenden.
Wenn ich „E-Prime“ verwende – besonders bei problematischen Aussagen über mich, andere Menschen oder die Welt – erinnere ich mich also konsequent daran, dass alles auf der Welt im Fluss ist – sorry -„fliesst“ – auch das was ich temporär als „Problem“ etikettiere.

2. „Sein“ birgt die Gefahr, subjektive Werturteile als objektive Tatsachen darzustellen.
Das Verb „sein“ versteckt auch gekonnt Bewertungen. Wenn ich sage: „Du bist unzuverlässig.“ oder „Das Leben ist hart!“ dann tue ich so, als ob Unzuverlässigkeit oder Härte da draussen existieren und zwar unabhängig von meine Erleben. Mit anderen Worten: Mit dieser Art des Formulierens betreibe ich Etikettenschwindel und etikettiere subjektive Bewertungen als objektive Fakten. Ich projiziere also „meinen Kram“ (Glaubenssätze, Bewertungen etc.)  auf Dinge oder Menschen, ohne es zu merken. Vielleicht reagieren  Menschen auf Sätze wie „Du bist unzuverlässig“  oder „Das war keine gute Arbeit.“ deshalb so aversiv, weil sie intuitiv spüren: Da will einer mir sein Werturteil als Wahrheit unterjubeln.

Nachdem ich nun selbst einige Zeit lang mit E-Prime experimentiert habe, komme ich zu dem Schluss, dass E-Prime mich anhält…

  1. klarer und genauer zu denken und
  2. daran zu denken, dass ich unentwegt mittels meiner Sprache „Landkarten über die Welt“ erstelle, die nur eine vage Annäherung an die Wirklichkeit  darstellen.
  3. E-Prime – bei allen Vorteilen – dennoch nicht dogmatisch anzuwenden, denn auch e-Prime „ist“ nicht;-)

Ein paar Tipps zum „E-Priming“:

  • Gehe Sie sparsam mit dem Verb „sein“ um. Meist finden sich passendere Verben.
  • Verwende  Sie Passivformen sparsam!
  • Verstecken Sie Ihre Ausssagen nicht hinter dem Deckmäntelchen einer objektiven Tatsache, sondern stehen Sie zu der Urheberschaft Ihres Werturteils.

(1) Alfred Korzybski, ein recht genialer Mathematiker, Ingenieur und Sprachwissenschaftler meinte 1941, dass das Verb „sein“ (engl. „to be“) „eine recht gefährliche linguistische Konstruktion“ darstellt. Von Alfred Korzybski stammt übrigens auch der recht bekannte Satz im NLP:

Eine Landkarte ist nicht das Gebiet das sie repräsentiert,
aber wenn sie korrekt ist, ist sie in ihrer Struktur der Struktur des Gebietes ähnlich,
worin sich ihre Brauchbarkeit begründet.

Diesen Artikel gibt es auch als Podcast zum Hören:

Hans-Jürgen Walter: E-Prime – eine MERKwürdige Methode für sprachliche Präzision

Quellen:

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